Ausgrenzung und Vernichtung

Mit einer Anzeige in der „Coburger Zeitung” fordern jüdische Bürger am 23. Oktober 1919 ihre Mitbürger zur Mithilfe im Kampf gegen den Antisemitismus auf.
Mit einer Anzeige in der „Coburger Zeitung” fordern jüdische Bürger am 23. Oktober 1919 ihre Mitbürger zur Mithilfe im Kampf gegen den Antisemitismus auf.

Nach dem Ersten Weltkrieg ist das Leben in Deutschland geprägt von der erlittenen Niederlage. Den Menschen in Deutschland geht es schlecht. Es herrschen Armut und Arbeitslosigkeit. Die meisten Deutschen sind mit der neuen Staatsform, der Demokratie, unzufrieden. Wie kommt es, dass es Deutschland so schlecht geht?

  Wie kommt es, dass es Deutschland so schlecht geht? Viele geben die Schuld „den Juden“. Es kommt zu einer neuen antisemitischen Welle. Antisemitismus ist ein anderes Wort für „Judenhass”. Der neue Antisemitismus greift dabei auf eine lange europäische „Tradition” zurück. Im Laufe der Geschichte wird den Juden oft die Schuld an Dingen gegeben, für die sie nicht verantwortlich sind. Antisemitismus wird von Menschen aller Schichten getragen und verbreitet.

Jüdische Menschen werden mit rassistischen Parolen öffentlich angegriffen. Eine große Rolle spielen dabei die Medien.

„Judenfeindschaft gilt als das älteste, soziale, kulturelle, religiöse, politische Vorurteil der Menschheit; Judenfeindschaft äußert sich, lange bevor Diskriminierung und brachiale Gewalt das Ressentiment öffentlich machen, in ausgrenzenden und stigmatisierenden Stereotypen, d. h. in überlieferten Vorstellungen der Mehrheit von der Minderheit, die unreflektiert von Generation zu Generation weitergegeben werden.“

Wolfgang Benz (Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin)

Im Februar 1920 spricht einer der bekanntesten Antisemiten der damaligen Zeit, Artur Dinter, über „Die semitische Gefahr”.
Im Februar 1920 spricht einer der bekanntesten Antisemiten der damaligen Zeit, Artur Dinter, über „Die semitische Gefahr”.

In Coburg wird jüdischen Menschen im November 1920 zum ersten Mal der Zutritt zu einer Veranstaltung verboten. Diese Vortrags-Veranstaltung wird vom Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund organisiert, der sich ausschließlich der Bekämpfung des Judentums widmet. Die Ende 1919 gegründete Ortsgruppe dieses Bundes ist bis 1924 äußerst aktiv. 1925 wird der Trutzbund aufgelöst. Die meisten Mitglieder gehen zur NSDAP über. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, die NSDAP, gewinnt immer mehr Anhänger. Der Vorsitzende dieser Partei ist Adolf Hitler.

 Am 14. und 15. Oktober 1922 kommt Hitler mit einer Schar von 600 bis 800 SA-Leuten aus München zum „Deutschen Tag“ nach Coburg. Das gewaltsame Auftreten gegenüber Demokraten und Sozialisten trifft in bürgerlichen Kreisen auf breite Zustimmung. Auch Herzog Carl Eduard stellt sich demonstrativ auf die Seite der Nazis. Wenig später wird eine Ortsgruppe der NSDAP gegründet. Im Juni 1926 erscheint die erste Nummer des Weckrufs, der Parteizeitung der Nazis. Damit setzt eine massive antijüdische Propaganda ein. Die verleumderischen Artikel tragen dazu bei, dass in Coburg 1929 Nationalsozialisten erstmals die Mehrheit in einem deutschen Stadtrat erringen und ab 1931 die erste Stadt in Deutschland regieren.

1930 wird der Weckruf in Coburger National-Zeitung umbenannt. Sie ist die erste lokale nationalsozialistische Tageszeitung Deutschlands.

NSDAP-Kundgebung am ersten April 1933 auf dem Marktplatz.

Die NSDAP wird zur größten Partei in Deutschland. Am 30. Januar 1933 wird Hitler Reichskanzler.

Nun stellen sich die wirklichen Absichten der Nazis heraus. Sie schaffen die Demokratie ab. Jeder, der zu widersprechen wagt, wird zusammengeschlagen oder eingesperrt. Es werden Konzentrationslager eingerichtet. Viele schweigen aus Angst. Aber die meisten Deutschen bewundern Hitler. Sie glauben blind daran, was er sagt, sie sind bereit das zu tun, was er von ihnen verlangt. In der „Volksgemeinschaft“, die als Ausgrenzungsgemeinschaft angelegt ist, werden Ächtung und Terror gegen Menschen, die nach der nationalsozialistischen Vorstellung nicht dazugehören, akzeptiert und unterstützt.

Für jüdische Deutsche wird das Leben immer schwieriger. Sie verlieren ihre Arbeit und ihre Kinder müssen in der Schule getrennt von den anderen sitzen. Und das ist erst der Anfang.

Nach dem Hitler-Sieg befindet sich Coburg im Freudentaumel. Die Siegesfeiern nehmen kein Ende. Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden werden bereits Anfang März 1933 in „Schutzhaft” genommen. Die Schreie der in der „Alten Herberge” (Rosengasse 1) misshandelten Häftlinge sind auf dem Marktplatz zu hören. Aber die Coburger Bürgerinnen und Bürger dulden die Folterpraxis.

1951 werden am Landgericht Coburg die Verhandlungen über die Verhaftungen und Folterungen in Coburg im März und April 1933 abgeschlossen. Die folgende Aussage ist dem Urteilsspruch entnommen und gibt Aufschluss über die „Barbarei, die mehrere Wochen das Rathaus im Griff hat.”:

„Siller (parteilos) kam am 25. in die alte Herberge. Während er selbst nicht misshandelt wurde, hat er die in der Prügelstube nebenan die ganze Nacht andauernden Verprügelungen miterlebt. Aus dem Abstellraum, in welchem Siller untergebracht war, wurden lediglich die Juden Mannheimer, Kohn und Fleischmann in die Prügelstube geholt und geschlagen. Siller konnte auch beobachten, wie Kohn vor dem Ofen Freiübungen machen musste.

Er hat auch das fürchterliche Schreien der drei genannten Juden und das Klatschen der Peitschen gehört. Kohn und Fleischmann kamen nach ihrer Verprügelung nur mit dem Hemd bekleidet wieder zurück. Siller ist während des Aufenthalts in der alten Herberge mehrmals durch die Prügelstube gekommen. Nach seiner Aussage hat ihn hierbei jedes Mal ein Grauen gepackt, als er die Blutlachen, die Blut- und Kotspritzer am Boden und an den Wänden sah (…).”

Im April 1933 ruft die NSDAP deutschlandweit zu einem Boykott von jüdischen Geschäften und Warenhäusern auf.

In Coburg werden jüdische Kaufleute bereits am 15. März 1933 aufgefordert ihre Geschäfte zu schließen. 
Aufforderung zur Geschäftsschließung
Aufforderung zur Geschäftsschließung

„In Coburg markiert der Boykotttag nicht den Anfang der nationalsozialistischen Judendiskriminierung, sondern bereits eine Zwischenstation auf dem Weg zur ‚Endlösung'“ Hubert Fromm

Boykott des Schuhhauses Weiss, Spitalgasse 5, am 1.April 1933
Boykott des Schuhhauses Weiss, Spitalgasse 5, am 1.April 1933

 

Textilwarengeschäft Gutmann, Ketschengasse
Textilwarengeschäft Gutmann, Ketschengasse
 

Ihre Judenfeindschaft begründen die Nazis rassistisch. Hitler hängt einer Rassenlehre an, die unwissenschaftlich und unsinnig ist. Danach gäbe es höherwertige und minderwertige Rassen: Ganz oben stünde die nordische Rasse, die „Arier”, ganz unten die der Juden. Für die Anhänger dieser Lehre war es ein Naturgesetz, dass sich die verschiedenen Rassen bekämpfen, bei dem der Starke das Recht, ja sogar die Pflicht habe, den Schwachen zu vernichten. Juden, Slawen und Sinti und Roma sind für Hitler und seine Anhänger „Untermenschen”.

Auf Grundlage dieser Rassentheorie werden am 15. September 1935 die „Nürnberger Gesetze” verkündet. Juden dürfen zukünftig keine Ehe und keine sexuellen Beziehungen mit Personen „deutschen Blutes” eingehen. Im Laufeder 1930er Jahre werden über 400 Gesetze erlassen, welche die Rechte der jüdischen Bevölkerung einschränken.
 
In Coburg kommt es aufgrund dieses Gesetzes zu zwei Verhaftungen.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstören die Nazis in ganz Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte. Sie stecken Gebäude in Brand und werfen Fensterscheiben ein. In den Tagen danach werden ungefähr 30.000 jüdische Männer, junge und alte, verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Es folgen „Arisierungsmaßnahmen”. Durch die Enteignung ihrer Betriebe, Grundstücke und Vermögen wurde den deutschen Juden jede Lebensmöglichkeit genommen.

Mit dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 häufen sich die Maßnahmen gegen Juden. Schließlich kommt es so weit, dass sie gar nichts mehr dürfen.

  1941 werden die jüdischen Bewohner Coburgs als Zwangsarbeiter eingesetzt. Um sie schließlich öffentlich zu brandmarken wird 1941 folgendes Gesetz erlassen:

1. Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, ist es verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne einen Judenstern zu zeigen.

2. Der Judenstern besteht aus einem handtellergroßen schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der Aufschrift „Jude“. Er ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest angenäht zu tragen.

Im September 1941 sprechen die Coburger Behörden von 39 Juden und Jüdinnen, die in Coburg leben. Von ihnen werden bis September 1942 37 Personen direkt aus Coburg in die Todeslager im Osten verschleppt.

Am 27. November 1941 werden 26 Coburger Juden und Jüdinnen über Nürnberg nach Riga deportiert, von ihnen überlebt einzig Lotti Bernstein.

Am 24. April 1942 werden fünf jüdische Bürger_innen nach Bamberg gebracht und von dort nach Izbica bei Lublin transportiert. Ihre Todesdaten sind nicht bekannt.

Am 10. September 1942 findet ein Transport von Nürnberg nach Theresienstadt statt. Sechs Personen werden aus Coburg zu diesem Transport gebracht. Allein Sali Altmann kehrt zurück. 

Es ist überliefert, dass vier jüdische Frauen in Coburg verbleiben, da sie mit sogenannten „Ariern“ verheiratet sind und dadurch dem Genozid entgehen. 

Ihre Namen: Hedwig Inderwies, Lina Töpfer, Elsa Rupprecht und Erna Schmidt.

Transport nach Riga am 27. November 1941

Martin Saalfeld, geb. 8.7.1977
Meta Saalfeld, geb. 28.10.1896
Simon Rotschild, geb. 19.11.1867
Berta Rotschild, geb. 10.5.1880
Alfred Plessner, geb. 6.2.1887
Margarethe Plessner, geb. 23.6.1892
Meyer Levenbach, geb. 9.12.1876
Sabine Levenbach, geb. 15.3.1876
Else Lewy, geb. 13.12.1891
Walter Lewy, geb. 14.4.1928
Ignatz Stern, geb. 7.7.1873
Rosa Stern, geb. 13.9.1877
Julius Klein, geb. 4.8.1876
Klara Klein, geb. 13.9.1888
Bella Ludwig, geb. 16.2.1888
Ivan Bernstein, geb. 10.3.1882
Elly Bernstein, geb. 16.2.1882
Ursula Bernstein, geb. 19.3.1910
Moritz Cramer, geb. 24.4.1877
Berta Drattler, geb. 15.2.1881
Julius Weiß, geb. 20.4.1881
Selma Weiß, geb. 13.11.1884
Rosa Rosenthal, geb. 1.11.1880
Jenny Katz, geb. 17.8.1878
Thekla Sander, geb. 27.10.1882
Lotti Bernstein, geb. 10.9.1906, zurückgekehrt am 13.8.1945, ausgewandert nach Chile am 1.9.1946

Transport nach Izbica bei Lublin am 24.4.1942

Hermine Kohn, geb. 12.6.1878
Sally Ehrlich, geb. 17.2.1878
Betty Friedmann, geb. 1.10.1876
Heßlein Strauß, geb. 1.10.1876
Jenny Kohn, geb. 4.3.1881

Transport nach Theresienstadt am 9.9.1942

 Jakob Altmann, geb. 20.12.1867
Josef Altmann, geb. 7.7.1866
Karl Friedmann, geb. 18.6.1869
Dora Frohmann, geb. 28.9.1855
Eduard Plant, geb. 27.3.1868
Sali Altmann, geb. 27.12.1869, zurückgekehrt am 11.10.1945, gestorben 1954

Von außerhalb deportiert

Heinz Löwenherz, geb. 3.5.1902, gest. 30.4.1943 in Auschwitz
Frieda Baumwollspinner, geb. 1.4.1876, gest. in Auschwitz
Wolf Baumwollspinner, geb. 15.9.1882, gest. in Auschwitz
Ella Elsbach, geb. 16.10.1897
Henny Elsbach, geb. 11.5.1886
Max Ehrlich, geb. 8.1.1888, gest. in Gurs (Frankreich)
Ernesthine Israelsky, geb. 30.12.1864
Charlotte Nomburg, geb. 17.8.1897
Georg Nomburg, geb. 6.10.1885
Kuno Hirsch, geb. 14.10.1868, gest. 30.11.1843 in Theresienstadt
Elisabeth Hirsch, geb. 16.7.1882, gest. 7.5.1944 in Theresienstadt
Ilse Pool, geb. 16.3.1906
Wilhelm Sandler, geb. 18.9.1876, gest. in Auschwitz
Max Kohn, geb. 26.5.1881, gest. 21.10.1941 in Buchenwald
Edit Katz, geb. 27.12.1911, gest. In Auschwitz
Stephanie Widrich, geb. 2.9.1903
Erna Hilde van Koppelen, geb. 26.7.1912
Walter Köhler, geb. 9.12.1909
Walter Fechheimer, geb. 17.10.1911, gest. 13.8.1942 in Auschwitz
Fanny Fechheimer, geb. 17.12.1910
Milton Wertheimer, geb. 17.3.1886, gest. in Auschwitz
Bella Wertheimer, geb. 17.12.1890
Siegfried Braun, geb. 13.12.1873
Augusta Frank, geb. 15.10.1868

(Die Namen und Zahlen basieren auf der Forschungsarbeit von Hubert Fromm. Er hat versucht, anhand der überlieferten Quellen alle Namen festzustellen. Vollständigkeit konnte jedoch nicht hergestellt werden.)